Die Nord-Stream-«Andromeda»-Vertuschung

Scott Ritter. (Bild David Shankbone,
wikipedia)

von Scott Ritter,* USA

(28. März 2023) Die US-Geheimdienste waren zu schnell, um der «New York Times» Informationen über die deutschen Ermittlungen zuzuspielen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der wahre Schuldige nervös ist wegen der investigativen Arbeit von Seymour Hersh.

Im Jahr 2000 hatte die Fernsehserie «Andromeda» Premiere,1 die auf ungenutztem Material von Gene Roddenberry, dem Schöpfer der «Star Trek»-Serie, basiert. Die Handlung basiert auf der Vorstellung eines Raumschiffs, «Andromeda», das in der Zeit eingefroren ist und die Möglichkeit erhält, die Uhr zurückzudrehen und die Geschichte ungeschehen zu machen.

Die Serie lief fünf Jahre lang.

Und nun, vorwärts in die Gegenwart.

Die Geschichte hat die Regierung von US-Präsident Joe Biden hart getroffen, der sich offen zu seiner Absicht bekannte, dem Nord-Stream-Pipelinesystem, das russisches Erdgas über vier Pipelines (Nord-Stream 1 und Nord-Stream 2, bestehend aus jeweils zwei Pipelines) nach Europa liefern sollte, «ein Ende zu setzen».2

Karte der Explosionen an den Nord Stream-Pipelines am 26. September 2022.
(FactsWithoutBias1, CC-By-SA 4.0, Wikimedia Commons)

Seitdem sah sich das Weisse Haus von Biden gezwungen, die erklärten Absichten des Präsidenten zu dementieren, nachdem ein brisanter Bericht3 des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh detaillierte belastende Informationen enthielt, die, wenn sie wahr sind (und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie es nicht sind), Biden selbst die Verantwortung für eine Reihe von Unterwasserexplosionen am 26. September 2022 zuschreiben.

Hershs Bericht wurde von den Mainstream-Medien in den USA ignoriert. Weder die «New York Times», für die Seymour Hersh viele Jahre lang über Fragen der nationalen Sicherheit schrieb, noch die «Washington Post» deuteten auch nur an, dass der bedeutendste lebende Enthüllungsjournalist eine bahnbrechende Geschichte veröffentlicht hatte.

Die «Andromeda» ist nicht das Raumschiff aus der gleichnamigen Fernsehserie, sondern eine 15 Meter lange Yacht vom Typ Bavaria C50, die in der deutschen Hafenstadt Rostock stationiert ist. Am 7. März – fast einen Monat, nachdem Hersh seinen Artikel über «Substack» selbst veröffentlicht hatte – berichtete ein Team deutscher Reporter des ARD-Hauptstadtstudios, von «Kontraste», dem Südwestrundfunk (SWR) und «Die Zeit» gemeinsam,4 dass sie die Existenz «des Bootes, das angeblich für die geheime Operation benutzt wurde», aufgedeckt hätten.

Bei dem Boot handele es sich «um eine Yacht, die von einer in Polen ansässigen Firma gemietet wurde und offenbar zwei Ukrainern gehört». Dem Bericht zufolge wurde die geheime Operation auf See von einem sechsköpfigen Team durchgeführt.

Der Name der Jacht war «The Andromeda».5

Dem deutschen Bericht zufolge benutzte das Team – fünf Männer, bestehend aus einem Schiffskapitän, zwei Haupttauchern, zwei Hilfstauchern und einer Ärztin – die Andromeda, um das Team zusammen mit dem Sprengstoff, der zur Zerstörung der Pipelines verwendet wurde, zum Tatort zu transportieren. Das Schiff wurde in «ungereinigtem Zustand» nach Rostock zurückgebracht, so dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden, die das Schiff zwischen dem 8. und 11. Januar durchsuchten, «Spuren von Sprengstoff» auf einem Tisch in der Schiffskabine entdecken konnten.

Am selben Tag, an dem die deutsche Berichterstattung über die neue Nord-Stream-Angriffsgeschichte bekannt wurde, veröffentlichte die «New York Times» eine Titelgeschichte6 mit dem Titel «Intelligence Suggests Pro-Ukrainian Group Sabotaged Pipelines, US Officials Say» [Nachrichtendienstliche Erkenntnisse legen nahe, dass eine pro-ukrainische Gruppe die Pipelines sabotiert haben, sagen US-Beamte.]

Zum ersten Mal bezog sich die «New York Times» auf die Berichterstattung von Hersh und schrieb: «Letzten Monat veröffentlichte der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh einen Artikel auf der Newsletter-Plattform ‹Substack›, in dem er zu dem Schluss kam, dass die USA die Operation auf Anweisung von Herrn Biden durchführten», bevor er mit den Worten schloss: «US-Beamte sagen, dass Herr Biden und seine hochrangigen Mitarbeiter keine Mission zur Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines autorisiert haben, und sie sagen, dass es keine US-Beteiligung gab».

Als ob sie die Dementis von Biden aus dem Weissen Haus wiederholen würde, leitete die «New York Times» mit folgendem Satz ein:

«Neue Geheimdienstberichte sind der erste wichtige Hinweis darauf, wer für den Angriff auf die Nord Stream-Pipelines verantwortlich ist, die Erdgas von Russland nach Europa transportierten» (Hervorhebung hinzugefügt).

Die «New York Times», so scheint es, war mehr als glücklich darüber, mit ihren eigenen anonymen Geheimdienstquellen fortzufahren, während sie die von Hersh abtat.

Das Problem sowohl mit der deutschen Berichterstattung als auch mit der der «New York Times» (deren Quelle sich eindeutig auf dieselben Daten bezog, die von den deutschen Reportern berichtet wurden) ist, dass die Andromeda-Erzählung nicht haltbar ist.

Nehmen wir zum Beispiel die Tom Clancy-ähnliche Geschichte, in der vier angeblich der Ukraine angehörende Taucher die Physiologie überlisten, indem sie Tauchgänge durchführen, die eine Dekompressionskammer erfordern würden, um einen Aufstieg von 240 Fuss (die Tiefe der zerstörten Nord-Stream-Pipelines) zu überleben. Eine Faustregel besagt,7 dass die Dekompression etwa einen Tag pro 100 Fuss Meerwasser plus einen Tag dauert.

Das bedeutet, dass das Tauchteam pro Tauchgang drei Tage für die Dekompression benötigt hätte. Um zu dekomprimieren, braucht man jedoch eine Dekompressionskammer. Für einen Tauchgang mit zwei Tauchern hätte die Andromeda entweder mit einer Zweipersonen-Dekompressionskammer der Klasse A oder zwei Einpersonen-Dekompressionskammern der Klasse B ausgestattet werden müssen, sowie mit der erforderlichen Anzahl grosser Sauerstoffflaschen, um diese Kammern über einen längeren Zeitraum zu betreiben.

Ein einfacher Blick auf den Innenraum der bayerischen C50-Yacht8 würde einen schnell von der Vorstellung befreien, dass eine dieser zwei Optionen realisierbar wäre.

Einfach ausgedrückt: keine Dekompressionskammer, kein Tauchgang, keine Geschichte.

«Spuren» von Hochexplosivstoffen

Es gibt noch einen weiteren Aspekt der Geschichte zu untersuchen. Laut der deutschen Berichterstattung haben die Strafverfolgungsbehörden «Spuren» von Sprengstoff auf den Tischen in der Kabine der Andromeda entdeckt.

Wie die schwedische Staatsanwaltschaft in einer am 19. November 2022 veröffentlichten Erklärung mitteilte,9 entdeckten die schwedischen Ermittler «Spuren von Sprengstoff auf mehreren Fremdkörpern, die am Ort der Explosionen gefunden wurden».

Laut einem am 22. November 2022 veröffentlichten Bericht der Nord Stream AG,10 der in der Schweiz ansässigen Muttergesellschaft, der die Pipelines Nord-Stream 1 und 2 gehören, haben diese Sprengstoffe technogene Krater mit einer Tiefe von 3 bis 5 Metern erzeugt, die in einem Abstand von etwa 248 Metern voneinander liegen.

«Der Abschnitt des Rohrs zwischen den Kratern ist zerstört, der Radius der zerstreuten Rohrfragmente beträgt mindestens 250 Meter», heisst es in dem Bericht.

In einem Bericht an die Vereinten Nationen11 erklärten sowohl Dänemark als auch Schweden, dass die Schäden an den Nord Stream-Pipelines durch Explosionen verursacht wurden, die der Kraft von «mehreren hundert Kilogramm Sprengstoff» entsprechen.

Es ist anzumerken, dass Unterwasserpipelines wie die von Nord-Stream so konstruiert sind, dass sie Explosionen von Sprengkörpern bis zu einer Grösse von mehreren hundert Kilogramm standhalten. An Orten wie der Ostsee, wo nicht explodierte militärische Kampfmittel aus mehreren Weltkriegen zu finden sind, ist die Gefahr, dass ein treibender Sprengkörper eine Pipeline trifft und explodiert, durchaus real.

Computermodelle zeigen,12 dass eine 600 Kilogramm schwere Sprengladung, die etwa 5 Meter von einer mit Gas gefüllten 34 mm dicken Stahlpipeline entfernt detoniert, die strukturelle Integrität der Pipeline nicht beeinträchtigen würde.

Ein Rohrstück der Nord Stream-Pipeline, das 2017 in Kotka, Finnland, öffentlich
ausgestellt wurde. (Bild Vuo/CC BY-SA 4.0/wikipedia)

Am Ort der Explosionen bestanden die Nord-Stream-Pipelines aus 26,8 mm dicken Stahlrohren mit einer zusätzlichen Betonummantelung von 33,2 mm,13 was einer Gesamtdicke von 60 mm entspricht. Das Gewicht eines einzelnen Rohrabschnitts betrug über 11 Tonnen.

Kurz gesagt, eine normale Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm wäre nicht ausreichend, um die Zerstörung zu verursachen, die an der Nord-Stream-Pipeline stattfand.

Hersh berichtet, dass es sich bei den verwendeten Sprengladungen um «Hohlladungen» handelte.

Bei einer Hohlladung wird die Explosionsenergie in eine bestimmte Richtung gelenkt, indem der Sprengstoff in der Regel eine konkave Form erhält, die mit einem Metallblech ausgekleidet wird, so dass in der Regel eine panzer- und/oder betondurchdringende Wirkung erzielt wird.

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, ist die Konstruktion einer Unterwasser-Formbombe, die ausreichen würde, um ein mit Beton ausgekleidetes Stahlrohr in einer Tiefe von 240 Fuss zu durchdringen, nicht allgemein bekannt. Die Sprengladung müsste von qualifizierten Sprengstoffexperten vorbereitet und idealerweise vor dem Einsatz getestet werden, um die Konstruktion und die Funktionsfähigkeit der Vorrichtung zu überprüfen.

Dies sind keine Aufgaben, die von einem kleinen Ad-hoc-Team ukrainischer Unterwassersaboteure ausgeführt werden, sondern von staatlich geförderten Akteuren mit Zugang zu militärischem Sprengstoff und Testeinrichtungen.

Schlag zwei für die deutsche Berichterstattung.

Der eklatanteste Mangel in der deutschen Berichterstattung betrifft jedoch den Nachweis von «Sprengstoffspuren» an Bord der Andromeda. Diese Information würde den verwendeten Sprengstoff genau identifizieren. Wenn man sie mit den «Sprengstoffspuren» vergleicht, die die Schweden am Ort der Nord-Stream-Anschläge gefunden haben, könnte man einen klaren Zusammenhang zwischen der Andromeda und den Anschlägen herstellen.

Schweden hat jedoch die Akten seiner Ermittlungen zum Nord-Stream-Anschlag aus Gründen der nationalen Sicherheit versiegelt.14 Das bedeutet, dass es nicht mit Deutschland zusammenarbeiten wird, um herauszufinden, ob die am Tatort des Nord-Stream-Anschlags gefundenen Sprengstoffspuren, mit denen an Bord der Andromeda übereinstimmen.

Der offensichtliche Grund für diese Entscheidung ist, dass die beiden Spuren nicht übereinstimmen werden. Die eine – die schwedische Probe – weist auf den Täter hin. Die andere – die Andromeda-Probe – ist der Beweis für eine Vertuschung.

Schlag drei, und du bist raus.

Der krude Versuch der deutschen Regierung, eine alternative Geschichte über die Angreifer auf die Nord-Stream-Pipeline zu konstruieren, hält der Überprüfung nicht stand – kurz gesagt, es stinkt zum Himmel. Die Lücken in dieser Geschichte sind so gross, dass selbst die begabtesten Drehbuchautoren diese Andromeda-Geschichte der Geschichtsveränderung nicht in etwas auch nur annähernd Glaubhaftes verwandeln könnten. Kurz gesagt: Gene Roddenberry wäre nicht beeindruckt.

Darüber hinaus scheint die Tatsache, dass die US-Geheimdienste Informationen über die deutsche Untersuchung schnell an die «New York Times» weitergaben, de facto ein Beweis für die Mitschuld der USA an dieser Vertuschung zu sein.

Und der Grund für diese Vertuschung liegt auf der Hand: Sowohl die Deutschen als auch die Amerikaner fürchten die Berichterstattung von Seymour Hersh.

* Scott Ritter ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des U.S. Marine Corps, der in der ehemaligen Sowjetunion bei der Umsetzung von Rüstungskontrollverträgen, im Persischen Golf während der Operation Desert Storm und im Irak bei der Überwachung der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen diente. Sein jüngstes Buch ist Disarmament in the Time of Perestroika (Abrüstung in der Zeit der Perestroika), erschienen bei Clarity Press.

Quelle: https://consortiumnews.com/2023/03/14/scott-ritter-the-nord-stream-andromeda-cover-up/, 14. März 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://andromeda.fandom.com/wiki/Andromeda_(TV_series)

2 https://edition.cnn.com/europe/live-news/russia-ukraine-biden-scholz-news-02-07-22/h_ba2cfe1cff57d70fe3deb7b06b08c39a

3 Englisch: https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream und deutsch:
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-international/wie-die-usa-gemeinsam-mit-norwegen-die-nord-stream-pipelines-zerstoerten.html

4 https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fpolitik%2Fausland%2F2023-03%2Fnordstream-2-ukraine-anschlag

5 https://www.rferl.org/a/nord-stream-mystery-baltic-sea-pipeline-blasts/32315977.html

6 https://www.nytimes.com/2023/03/07/us/politics/nord-stream-pipeline-sabotage-ukraine.html

7 https://dan.org/alert-diver/article/saturation-diving

8 https://www.bavariayat.com/en-uk/yachts/sailing-yachts/c50

9 https://news.yahoo.com/sweden-traces-explosives-found-baltic-101632614.html

10 https://www.reuters.com/business/energy/nord-stream-1-operator-says-it-has-completed-initial-data-gathering-damaged-2022-11-02

11 https://www.theguardian.com/business/2022/sep/30/nord-stream-blasts-size-equal-to-large-amount-of-explosive-un-told

12 https://www.researchgate.net/publication/276241513_Effect_of_Underwater_Explosion_on_Pipeline_Integrity

13 https://www.wermac.org/nordstream/nordstream_part3.html

14 https://www.reuters.com/world/europe/sweden-shuns-formal-joint-investigation-nord-stream-leak-citing-national-2022-10-14/#:~:text=Sweden%20shuns%20formal%20joint%20investigation%20of%20Nord%20Stream,Swedish%20Coast%20Guard%2FHandout%20via%20TT%20News%20Agency%2Fvia%20REUTERS

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