Ein wegweisender deutscher Friedensvorschlag für die Ukraine, der uns vor einer gefährlichen Eskalation des Krieges bewahren würde

Michael von der Schulenburg.
(Bild zvg)

Michael von der Schulenburg,* Deutschland

Ende August dieses Jahres haben vier hoch angesehene deutsche Persönlichkeiten1 einen Friedensplan vorgestellt,2 wie der Krieg in der Ukraine durch einen Waffenstillstand und durch darauffolgende Friedensverhandlungen beendet werden könnte. Es ist wohl der umfassendste und wegweisendste Friedensvorschlag, der seit dem Beginn des Krieges vor 18 Monaten von einer Regierung, einer internationalen Organisation oder, wie hier, von privater Seite gemacht wurde.

Dieser Vorschlag kommt zu einem äusserst kritischen Zeitpunkt im Ukrainekrieg. Durch ein mögliches Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive und einer damit verbundenen Schwächung der ukrainischen Streitkräfte, könnte die Nato in den nächsten Monaten, ja, vielleicht schon in den nächsten Wochen, vor der Entscheidung stehen, entweder den Krieg gegen Russland nochmals zu eskalieren oder doch den Weg von Verhandlungen zu gehen. Eine Entscheidung für eine Weiterführung des Krieges birgt aber das enorme Risiko, dass er sich so zunehmend zu einer direkten Nato-Russland Konfrontation entwickeln könnte. Das würde nicht nur das weitere Leiden der ukrainischen Bevölkerung zur Folge haben, es würde auch die Welt einen Schritt näher an einem Nuklearkrieg bringen. So ist nur zu hoffen, dass Vernunft siegt und die Nato, Ukraine und Russland sich für einen Waffenstillstand mit sofortigen Friedensverhandlungen entscheiden. Der detaillierte deutsche Friedensvorschlag hat nun den Weg dazu aufgezeigt. Es ist daher von grösster Dringlichkeit, politische Entscheidungsträger in der ganzen Welt auf diesen Friedensvorschlag aufmerksam zu machen und die Öffentlichkeit für ihn zu gewinnen.

Es gibt bisher Friedensvorschläge zum Ukrainekrieg von China, der Afrikanischen Union, Brasilien, Mexiko, Indonesien sowie einen auf Einladung des Vatikans entwickelten Vorschlag. Zudem haben die Türkei und Israel Friedensinitiativen unternommen. Es ist daher erschreckend, dass die Europäische Union, die selbst tief in diesen Krieg involviert ist, noch keinen Vorschlag gemacht hat, wie dieser Krieg durch eine politische Lösung beendet werden könnte. Mit der Ausnahme eines Vorschlages des ehemaligen italienischen Ministerpräsident Draghi vor einem Jahr, hat auch keines der EU-Mitgliedsländer in irgendeiner Form eine eigene Friedensinitiative unternommen. Traurigerweise gilt das auch für die deutsche Regierung.

In dieser Zeit der höchsten Gefahr für Europa scheint die Europäische Union in eine politische Starre verfallen zu sein. Weder verfügt sie über eine ersichtlich eigene Strategie für den Ukrainekrieg, noch hat sie Vorstellungen entwickelt, wie ein friedliches Europa nach diesem Krieg aussehen könnte. Als hätte dieser alte Kontinent nichts aus den schrecklichen Erfahrungen der beiden Weltkriege gelernt, die wie jetzt der Ukrainekrieg hauptsächlich auf europäischem Boden ausgetragen wurden, hält man an Maximalforderungen und an der erschütternden Vorstellung fest, dass diese nur auf dem Schlachtfeld erreicht werden können. Dass man damit die Ukraine im wahrsten Sinne ausblutet, wird offenbar in Kauf genommen. Auch scheint die EU-Politik gegenüber den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen für die Menschen in Europa und in der Welt, sowie den enormen Gefahren, die für die Menschheit von einer Ausweitung des Krieges ausgehen würde, taub zu sein.

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, warum gerade jetzt ein solch detailliert ausgearbeiteter deutscher Friedensvorschlag von so grosser Wichtigkeit ist. Er bricht mit dem verhängnisvollen Glauben, militärische Siege könnten einen Frieden bringen, und skizziert demgegenüber Wege, durch politische Verhandlungen eine friedliche Lösung dieses Krieges zu erreichen. In der gegenwärtig vorherrschenden kriegsbetonten Atmosphäre in der europäischen Politik, in den Medien und auch den Gedankenfabriken braucht das einen erheblichen persönlichen Mut der Initiatoren dieser Vorschläge.

Auch dieser Friedensvorschlag geht von der westlichen Auffassung aus, dass Russland einen illegalen Angriffskrieg angefangen hat und damit die Ukraine jedes Recht hat, sich militärisch zu verteidigen und dazu auch ausländische Unterstützung anzunehmen. Nur gehen sie einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie betonen, dies «entbindet die Regierung in Kiew und die sie unterstützenden Staaten nicht, […] die Erlangung eines gerechten und dauerhaften Friedens politisch zu befördern». Da dieser Krieg nach 18 Monaten nun in ein höchst zerstörerisches Stadium getreten ist, indem es keine Sieger mehr geben kann, ist die von ihnen geforderte Verpflichtung aller Kriegsparteien und deren Unterstützern, eine politische Lösung für einen Frieden zu suchen, noch dringlicher geworden.

So fordern die Initiatoren einen sofortigen Waffenstillstand entlang des bestehenden Frontverlaufes, aber eben auch den gleichzeitigen Beginn von Friedensverhandlungen, um so ein ‚Einfrieren‘ dieser Waffenstillstandslinie und damit des ganzen Konfliktes zu verhindern. Um Friedensverhandlungen nicht durch lange politische Winkelzüge zu verzögern, schlagen sie Verhandlungslösungen zu den kontroversen Kernproblemen des Konfliktes vor: zu einer neutralen Ukraine, Sicherheitsgarantien für die Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine sowie eine politische Lösung für den zukünftigen Status der Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson sowie der Krim. Die Verhandlungen sollten an die im März 2022 geführten russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen anknüpfen und müssten die Punkte im ukrainischen Positionspapier zum damaligen Istanbuler Friedensgipfel in Betracht ziehen.

Dieser nun aus Deutschland kommende Friedensvorschlag ergänzt die bereits angebotenen aussereuropäischen Friedensvorschläge. Wie diese geht er davon aus, dass auch russische Sicherheitsinteressen, wie sie in Russlands Schreiben an die Nato und die USA vom 17. Dezember 2021 dargelegt wurden, berücksichtigt werden müssen. Im Gegensatz zur politischen Auffassung in der EU, teilen die Initiatoren des deutschen Friedensvorschlags die Einschätzung nicht-westlicher Länder, dass der russische Präsident Putin sehr wohl zu Verhandlungen bereit ist. Das bedeutet noch keine Annäherung der Verhandlungspositionen. Wie bei allen anderen Friedensverhandlungen, so müssen auch im Fall des Ukrainekriegs bei Verhandlungen gegensätzliche Interessen der Kriegsparteien und deren unterstützenden Staaten mühevoll ausgehandelt werden. Das wird äusserst schwierig werden, da es kein Vertrauen zwischen den Konfliktparteien gibt. Friedensverhandlungen finden eben zwischen Kriegsfeinden und nicht unter Freunden statt. Dennoch stellt der nun aufgezeichnete Weg für einen Verhandlungsfrieden einen grossen Vorteil gegenüber jedem weiteren Versuch dar, eine militärisch erzwungene Lösung zu erzielen.

Daher sollte es auch im ureigensten Interesse der Staaten der EU sein, diesen Friedensvorschlag schnellstens aufzugreifen. Denn es wird die EU sein, die in diesem Krieg verliert. Sie wird auf den Kriegskosten sowie den Langzeitkosten einer zerstörten, verarmten und sich entvölkernden Ukraine sitzen bleiben. Nachdem sich die USA längst wieder über den Atlantik zurückgezogen hat, wird die EU weiterhin mit vielen der weltweiten Krisenregionen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft konfrontiert bleiben. Auch wird es die Wirtschaft der EU sein, die durch eine Verteuerung der Rohstoffe, durch den Verlust an Absatzmärkten und die Blockierung der direkten Handelswege zu den Wachstumsregionen Asiens sowie durch die eigenen Sanktionen am meisten leiden wird. Und man muss nur die Zeichen des BRICS+ Gipfels, der Shanghai Cooperation Organization und nun auch des G-20 Gipfels richtig lesen, um zu erkennen, dass nicht Russland isoliert ist, sondern dass es der Einfluss der EU ist, der international zunehmend schwindet. Für die EU ist der Ukrainekrieg eben eine enorme Belastung in ihren internationalen Beziehungen. Die EU braucht also dringend einen Frieden und der deutsche Friedensvorschlag sollte als eine Chance gesehen werden, den Focus der europäischen Aussenpolitik von Krieg auf Frieden umzustellen.

Auffallend am deutschen Friedensvorschlag ist, wie sehr er bei dessen Durchführung auf eine entscheidende Rolle der Vereinten Nationen setzt. Demnach sollen die Rahmenbedingungen für einen umfassenden Waffenstillstand im UN-Sicherheitsrat beschlossen und die Überwachung der Entmilitarisierung in den russisch besetzen Gebieten sowie entlang der Waffenstillstandslinie durch UN-Friedenstruppen garantiert werden. Auch sollen die Friedensverhandlungen unter der Schirmherrschaft des UN-Generalsekretärs oder eines von ihm benannten Hohen Kommissars stattfinden. Da gerade in diesem Konflikt die Vereinten Nationen, der UN-Sicherheitsrat sowie der UN-Generalsekretär eher enttäuschende Rollen gespielt haben, werden diese Vorschläge sicherlich von vielen Beobachtern belächelt werden.

Und doch könnte gerade dieser Vorschlag von weitreichender, ja weltweiter Bedeutung sein. Er würde zur Rehabilitierung dieser für den Erhalt des Weltfriedens so unabdingbaren und zentralen Weltorganisation führen. Es würde bedeuten, dass in diesem Organ die unterschiedlichen Friedensvorschläge und Friedensinitiativen der Mitgliedstaaten zusammenkommen können, nicht als konkurrierende, sondern als sich gegenseitig stärkende Kräfte für den Frieden. Eine solche Stärkung der Vereinten Nationen und der damit verbundenen Bekräftigung der Allgemeingültigkeit der UN-Charta wird sicherlich von der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedsstaaten willkommen geheissen. Dazu könnte dieser deutsche Friedensvorschlag einen entscheidenden Beitrag leisten.

Die Vereinten Nationen und die UN-Charta entstanden einst als Antwort auf Deutschlands Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Die darin aufgezeichnete Verpflichtung friedlicher Lösungen von Konflikten und der Verhinderung von Kriegen besteht daher für Deutschland in besonderen Massen. Dieser deutsche Friedensvorschlag kommt dieser besonderen Verantwortung Deutschlands nach. Wollen wir den Krieg in der Ukraine friedlich beenden, gibt es zu diesem Friedensvorschlag keine Alternativen.

* Michael von der Schulenburg, 1948, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen, studierte in Berlin, London und Paris. Er arbeitete und lebte 34 Jahre in Friedens- und Entwicklungsmissionen der Vereinten Nationen und kurzzeitig der OSZE in vielen Ländern, die durch Kriege, durch Konflikte mit bewaffneten nichtstaatlichen Akteuren und/oder durch ausländische Militärinterventionen geschwächt und zerrissen waren.
Dazu gehörten Langzeiteinsätze in Haiti, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak und Sierra Leone sowie kürzere Einsätze in Syrien, Somalia, dem Balkan, der Sahelzone und Zentralasien. Im Jahr 2017 veröffentlichte er das Buch «On Building Peace – Rescuing the Nation-State and Saving the United Nations» und publizierte zahlreiche Artikel zu UNO-Reformen, innerstaatlichen bewaffneten Konflikten, Afghanistan, Irak und der Ukraine. (www.michael-von-der-schulenburg.com)

1 Professor Dr. Peter Brandt, Sohn des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, Initiator der Ostpolitik, ehemals Geschichtsprofessor und gewichtige Stimme der deutschen Friedensbewegung, der deutschen Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Partei.

Professor Dr. Hajo Funke, ehemals Professor für Antisemitismus/Rechtspopulismus und internationale Konflikte am Otto-Suhr-Institut, Deutschlands führender politischer Universitäts-Denkfabrik.

Harald Kujat, ranghöchster deutscher General a.D., war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, Vorsitzender des Nato-Russland-Rates und der Nato-Ukraine-Kommission der Generalstabschefs.

Professor Dr. h.c. Horst Teltschik, ehemaliger aussenpolitischer Chefberater des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl während des Endes des Kalten Krieges und der Verhandlungen mit den vier Mächten, die zur Wiedervereinigung Deutschlands 1991 führten.

2 https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/sonderausgabe-vom-28-august-2023.html#article_1551

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