Japan rüstet unter dem Druck Washingtons auf

Sara Flounders. (Bild zvg)

von Sara Flounders,* USA

(25. Januar 2023) (Red.) In den USA werden geopolitische Strategien und aktuelles aussenpolitisches Vorgehen der US-Administration von unterschiedlichen politischen Standpunkten her kritisch analysiert. Der «Schweizer Standpunkt» publiziert deshalb auch verschiedene Autoren. Im Folgenden veröffentlichen wir Sara Flounders’ Analyse zu Vorgängen in Japan.

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Die Ankündigung einer neuen Verteidigungsstrategie durch Japans Premierminister Fumio Kishida am 16. Dezember und die gleichzeitige Verdoppelung der Militärausgaben bis 2027, um diese Strategie umzusetzen, ist die grösste Umstrukturierung im Verteidigungsbereich seit Jahrzehnten und ein Weckruf für die Antikriegsbewegung.

Okinawa ist die grösste der Ryukyu-Inseln. (Quelle Workers World)

Die Entscheidung beinhaltet den offenen Erwerb von Offensivwaffen und die Neugestaltung der militärischen Kommandostruktur für die erweiterten Streitkräfte. Am 23. Dezember wurde der Haushaltsentwurf vom Kabinett Kishida gebilligt.

Die gefährliche militärische Expansion Japans sollte international die Alarmglocken schrillen lassen. Diese grosse Eskalation findet auf intensiven Druck der USA hin statt. Sie ist der nächste Schritt im Rahmen des «Pivot to Asia», der darauf abzielt, China zu bedrohen und einzukreisen und zu versuchen, die Vorherrschaft der USA im asiatisch-pazifischen Raum wiederherzustellen.

Die Bewegungen, die sich gegen endlose US-Kriege wenden, müssen damit beginnen, Material vorzubereiten und die Aufmerksamkeit der Menschen auf diese ominöse Bedrohung zu lenken.

Der Plan, die Militärausgaben zu verdoppeln, wird Japans Verteidigungshaushalt [54 Milliarden Dollar im Jahr 2021] in den nächsten fünf Jahren um 315 Milliarden Dollar erhöhen und Japans Militär zum drittgrössten der Welt machen, nach den USA und China. Die Verteidigungsausgaben werden auf 2% des Bruttoinlandsprodukts steigen, was dem Ziel entspricht, das die USA für ihre Nato-Verbündeten festgelegt haben. Japans Wirtschaft ist die drittgrösste der Welt.

Die japanische Regierung plant, bis zu 500 Lockheed Martin Tomahawk-Raketen und Joint Air-to-Surface Standoff Missiles (JASSM) zu kaufen, mehr Marineschiffe und Kampfflugzeuge zu beschaffen, die Fähigkeiten zur Cyber-Kriegsführung auszubauen, eigene Hyperschall-Lenkraketen herzustellen und eigene moderne Kampfflugzeuge sowie andere Waffen zu produzieren. Der Plan sieht vor, sich nicht mehr nur auf die Raketenabwehr zu verlassen, sondern auch «Gegenschlags»kapazitäten zu entwickeln.

Drei wichtige sicherheitspolitische Dokumente – die Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) sowie die Nationale Verteidigungsstrategie (NDS) und das Defense Buildup Program (DBP) – haben einige der Nachkriegsbeschränkungen für das japanische Militär beseitigt.

Artikel 9 – ein Klassenkampf gegen die militärische Wiederbewaffnung

Obwohl die US-Besatzungsmacht nach der Niederlage des japanischen Militärs im Zweiten Weltkrieg Japan eine «pazifistische» Verfassung auferlegte, haben die US-Strategen die japanische Regierung jahrzehntelang unter Druck gesetzt, aggressiv aufzurüsten und vor allem in den USA hergestellte Waffen zu kaufen, um als Juniorpartner für die Bemühungen der USA um die Vorherrschaft im asiatisch-pazifischen Raum zu fungieren.

Artikel 9 der aufgezwungenen japanischen Verfassung verbietet es Japan, eine Armee, Marine und Luftwaffe zu unterhalten. Um dies zu umgehen, wurden die Japanischen Selbstverteidigungskräfte (JSDF) seit 1952 als legale Erweiterung des Polizei- und Gefängnissystems behandelt. Die US-Besatzer betrachteten die JSDF als ein wesentliches repressives Instrument zur Verteidigung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gegen die Arbeiterbewegung.

Die Entscheidung für eine aggressive militärische Expansion verstösst offen gegen die angeblich pazifistische Verfassung Japans.

Die Bemühungen um eine «Neuinterpretation» von Artikel 9 sind ein anhaltender politischer Kampf innerhalb Japans. Massenkundgebungen mit Hunderttausenden haben viele Male zur Verteidigung von Artikel 9 mobilisiert, der ein klares Verbot der Aufrechterhaltung einer militärischen Streitmacht in Japan enthält. Der weit verbreitete Widerstand gegen das japanische Militär und gegen eine Verfassungsänderung kommt von den arbeitenden Menschen, die von den Gewerkschaften und den kommunistischen und sozialistischen Bewegungen mobilisiert werden.

Diese Bewegung hat allen vor Augen geführt, wie das militaristische Regime der 1930er und 40er Jahre brutale Unterdrückung betrieben und Japan in den Zweiten Weltkrieg geführt hat. Die Menschen wissen aus bitterer Erfahrung, dass diese ultrarechten Kräfte, deren Wurzeln im historischen japanischen Kolonialismus liegen, die wahre Bedrohung für ihre Rechte und die von ihnen erreichten sozialen Errungenschaften sind.

Die derzeitige Verdoppelung des Verteidigungshaushalts wird durch Steuererhöhungen finanziert. Ein riesiger Militärhaushalt wird unweigerlich zu schweren Einschnitten bei den begrenzten Sozialausgaben des Landes führen.

Die Liberaldemokratische Partei (LDP), die seit den 1950er Jahren fast ununterbrochen an der Macht ist, ist rechtsgerichtet, pro-militärisch und mit dem US-Imperialismus verbündet, insbesondere gegen China und die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK). Sie drängt darauf, die verfassungsmässigen und gesetzlichen Beschränkungen für das Militär des Landes aufzuheben.

Die Ermordung des pensionierten Präsidenten Shinzo Abe am 8. Juli 2022, nur zwei Tage vor den Wahlen in Japan, brachte der LDP zusätzliche Stimmen ein. Es gelang ihr, die Zweidrittelmehrheit im Parlament zu erlangen, die sie benötigte, um ihre militärischen Pläne aggressiv voranzutreiben.

Grossbritannien und Japan unterzeichnen Verteidigungspakt

Truppen werden auf dem Gebiet des jeweils anderen Staates stationiert, und Tokio vertieft seine Annäherung an die Nato-Mächte.
Der britische Premierminister Rishi Sunak und sein japanischer Amtskollege Fumio Kishida haben am 11. Januar 2023 in der Tower of London-Festung ein «bedeutendes» Verteidigungsabkommen unterzeichnet, mit dem sie «ihr Engagement für den indopazifischen Raum bekräftigen». Während Grossbritannien und seine Nato-Verbündeten sich darauf konzentrieren, sowohl Russland als auch China entgegenzutreten, vertieft Japan seine Zusammenarbeit mit dem westlichen Militärblock.
Dieses Abkommen soll es ermöglichen, Truppen auf dem Boden des jeweils anderen Landes zu stationieren und «grössere und komplexere» gemeinsame Militärübungen abzuhalten, heisst es in einer Erklärung von Downing Street.
Diese Entwicklung markiert einen «bedeutenden» Schritt Japans weg von seiner Nachkriegsverfassung, die das Land zu einer pazifistischen Aussenpolitik verpflichtet und vorschreibt, dass sein Militär eine rein defensive und friedenserhaltende Kraft ist. (RT/AP 12. Januar 2023)

China im Visier

Japans militärische Expansion steht im Einklang mit Washingtons aggressivem Verhalten gegenüber China, der DVRK und Russland. Das Ziel der US-Strategen ist es, das US-Bündnis mit Japan, Südkorea und Australien genauso zu nutzen wie das von den USA geführte Nato-Bündnis in Europa.

Die Verdoppelung der Nato-Mitgliedsländer und die gezielten Aktionen der Nato gegen Russland haben zum Krieg in der Ukraine geführt, woraufhin die US-Regierung Tausende neuer Sanktionen gegen Russland verhängte. Die USA haben so den für beide Seiten vorteilhaften Handel der Europäischen Union mit Russland zunichte gemacht.

China ist sowohl bei den Einfuhren als auch bei den Ausfuhren der grösste Handelspartner Japans. In früheren nationalen Strategiedokumenten hiess es, Japan strebe eine «für beide Seiten vorteilhafte strategische Partnerschaft» mit China an. Plötzlich bezeichneten japanische Strategen China als «die grösste strategische Herausforderung für die Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit Japans.» (U.S. Institute of Peace, 19. Dezember)

Japan hatte bisher den Handel von Gas, Öl, Autos und Maschinen mit Russland ausgeweitet. In seinem Dokument zur nationalen Sicherheitsstrategie vom 17. Dezember 2013 hatte Japan noch zu «verstärkten Beziehungen und Kooperationen mit Russland» aufgerufen. Jetzt betrachtet Japan Russland als ein «ernsthaftes Sicherheitsrisiko». (USIP, 19. Dezember)

Ein amerikanisch-japanisches Bündnis wird nun als «Eckpfeiler» der japanischen Sicherheitspolitik definiert. (Japan Times, 17 Dezember)

US-Lob für Japans zunehmenden Militarismus

Die US-Medien lobten Japans neues Sicherheitsstrategiedokument als einen «mutigen und historischen Schritt». Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, lobte die Erhöhung der Verteidigungsausgaben, die «das amerikanisch-japanische Bündnis stärken und modernisieren wird». US-Aussenminister Antony Blinken nannte Japan einen «unverzichtbaren Partner» und begrüsste, dass die geänderten Sicherheitsdokumente die Fähigkeit zum «Schutz der regelbasierten Ordnung in der indo-pazifischen Region und in der ganzen Welt» neu gestalten. (Zitate, whitehouse.gov, 16. Dezember)

Die mächtigen US-Konzerne sind der unmittelbare Nutzniesser dieser scharfen Wende in der Politik, die auf militärischen Drohungen und Wirtschaftssanktionen aufbaut.

Das Magazin Foreign Affairs nennt die Ankündigung «eine tiefgreifende Veränderung» und stellt fest: «Die neue nationale Sicherheitsstrategie stellt jedoch eine verblüffende Veränderung dar. […] Die Regierung setzt eine Politik um, die seit Jahrzehnten diskutiert, aber immer blockiert wurde. Bis jetzt. […] Japans neue nationale Sicherheitsstrategie sollte bejubelt werden.» (Foreign Affairs, 23. Dezember)

Die USA brauchen Kollaborateure

Die Politik der USA gegenüber den besiegten Achsenmächten Deutschland, Italien und Japan war bemerkenswert ähnlich. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden viele der Industrieführer, die dieses faschistische Regime unterstützt hatten, in Japan, Deutschland und Italien im Stillen geschützt und rehabilitiert, ebenso wie die zahlreichen Nazi-Kollaborateure, die aus Osteuropa geflohen waren.

Die USA und später die Nato setzten die rehabilitierten Faschisten gegen eine aufstrebende Arbeiterbewegung in Westeuropa und gegen den sozialistischen Aufbau in Osteuropa ein. Die US-Konzerne, die aggressiv in die besiegten Achsenländer vorgedrungen waren, brauchten eine Versicherung, dass ihre Investitionen vor den Streikwellen geschützt würden.

1950 befanden sich die USA auf der koreanischen Halbinsel im Krieg und brauchten, während sie US-Truppen in Korea einsetzten, eine militärische Kraft zur «Friedenssicherung und Selbstverteidigung» der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Japan. Deutschland, Italien und Japan begannen in dieser Zeit aufzurüsten.

Die Auswirkungen auf Okinawa

Eine Kette von 150 Inseln, die Ryukyu-Inselgruppe, deren grösste Insel Okinawa ist, 400 Meilen vom japanischen Festland entfernt, ist in Wirklichkeit eine Kolonie Japans. Ihre 1,74 Millionen Einwohner leiden unter der Herrschaft Tokios und der Besetzung durch US-Militärstützpunkte. Okinawa liegt geografisch näher an Taiwan als an den Hauptinseln Japans.

Die Aufrüstung und Verstärkung der japanischen Bodeneinheiten auf Okinawa ist Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS). Andere Inseln, die Teil der Inselkette südwestlich von Japan sind, sollen weiter militarisiert werden.

Die Aufrüstung der 15. japanischen Brigade auf diesen Inseln für die künftige elektronische Kriegsführung, die Cyber-Kriegsführung und gemeinsame Operationen der Boden-, See- und Luftstreitkräfte sind ein deutliches Zeichen für Pläne, in der Strasse von Taiwan zu intervenieren.

In den letzten Jahren hat Japan auf seinen südwestlichen Inseln Amami Oshima, der Hauptinsel Okinawa und der Insel Miyako Schiffsabwehr- und Luftabwehrraketen sowie eine Raketenbasis auf der Insel Ishigaki stationiert, die Taiwan am nächsten gelegen ist.

Mehr als 50 000 US-Soldaten verbleiben als Besatzungstruppe in Japan, die derzeit grösste US-Besatzungstruppe in einem Land. Mehr als die Hälfte der US-Truppen ist auf Okinawa stationiert.

Die Bewohner Okinawas, die Ureinwohner der Ryukyu, protestieren seit Jahrzehnten gegen die ständige Präsenz des US-Militärs in ihrem Alltag. Derzeit befinden sich 31 US-Militäreinrichtungen auf der Inselpräfektur Okinawa, die 74% der Fläche aller US-Militärstützpunkte in Japan ausmacht, obwohl Okinawa nur 0,6% des japanischen Territoriums ausmacht.

In Südkorea unterhalten die USA 73 Militärstützpunkte und 28 500 Soldaten. Sowohl Südkorea als auch Japan sind gezwungen, für die «Unterbringung» dieser Besatzungstruppen zu zahlen.

Das kurze Video auf der Website des International Action Center mit dem Titel «Japans Verfassungsänderung: ein gefährliches Signal» ist Teil der Bemühungen, die politische Aufmerksamkeit mit Hilfe von Faktenblättern, Diskussionsbeiträgen, Videos und Webinaren auf die wachsende Bedrohung durch den Druck der USA auf Japans Aufrüstung zu lenken. (tinyurl.com/mwjdt8rm)
Das Video wurde in China gedreht und zeigt auch die Beteiligung der USA. Menschen aus vielen Ländern werden zusammenarbeiten müssen, um dem wachsenden Militarismus in Japan, den USA und ihren Verbündeten entgegenzutreten.

Die Bedrohung durch Nordkorea als Deckmantel nutzen

Japan hat seine Remilitarisierung bisher damit gerechtfertigt, dass Nordkorea eine Bedrohung darstelle. Der pensionierte Admiral der Maritimen Selbstverteidigungsstreitkräfte (MSDF), Tomohisa Takei, erklärte jedoch gegenüber den Medien, dass China das Hauptziel sei, auf das sich Japan vorbereite, «indem es die Bedrohung durch Nordkorea als Deckmantel benutze». (AP, 17. Dez.)

Sowohl Japan als auch Südkorea nehmen regelmässig an koordinierten Militärübungen unter dem Kommando der USA teil, bei denen Nordkorea bedroht wird. Massive Demonstrationen in Südkorea und gezielt abgefeuerte Raketen aus Nordkorea sind die Antwort auf diese militärischen Provokationen.

Dieses zynische Eingeständnis der Kriegsplanung und -vorbereitung unter dem Vorwand der Selbstverteidigung ähnelt dem Eingeständnis der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 8. Dezember, dass die Unterzeichnung des Minsker Abkommens 2014 kein Friedensvertrag mit Russland war. Merkel bestätigte, dass die Nato von Anfang an Krieg wollte, aber Zeit brauchte, um die Ukraine militärisch vorzubereiten. (Interview in «Die Zeit», 7. Dezember)

Nachdem die USA Russland zu einer Invasion in der Ukraine angestachelt haben, um Russland zu schwächen und zu zersplittern, versuchen sie nun, Taiwan in einen militärischen Sumpf für China zu verwandeln. Die Biden-Administration ermöglicht Taiwan den Kauf moderner Waffen aus den USA und verstärkt die diplomatischen Verbindungen zur Insel.

* Sara Flounders ist eine amerikanische politische Autorin, die seit den 1960er Jahren in der progressiven und Anti-Kriegs-Bewegung aktiv ist. Sie ist Mitglied des Sekretariats der Workers World Party und eine der Hauptverantwortlichen des International Action Center. Sara ist zu erreichen unter: flounders.sara16
@gmail.com.

Quelle: https://www.workers.org/2022/12/68400, 28. Dezember 2022 https://www.globalresearch.ca/japan-rearms-under-washington-pressure/5803464

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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