Weshalb der Putin-Biden-Gipfel wichtig war

Guy Mettan (Bild zvg)

Von Guy Mettan, unabhängiger Journalist, Genf

(24. Juni 2021) Die Freudenrufe über die gelungenen Schweizer Vorbereitungen und die Begrüssung sowie das Gerede über die Rückkehr der USA auf die internationale Bühne sind zweifellos berechtigt, aber sie haben nicht aufgezeigt, weshalb das Treffen zwischen Wladimir Putin und Joe Biden am 16. Juni wichtig war. Lassen Sie uns eine Analyse versuchen.

Zunächst sei festgehalten: Auf diplomatischer Ebene führte der Gipfel zwar nicht zu einem nennenswerten Durchbruch, wie dies bereits festgehalten wurde, aber er ermöglichte den Beginn eines Tauwetters zwischen den beiden Mächten. Darin waren sich Putin und Biden einig. Das ist nicht spektakulär, aber doch beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Beziehungen zwischen den USA und Russland in den letzten Jahren geradezu abscheulich geworden waren. Die Reihe von Sanktionen und Gegensanktionen seit 2014 hatte sich in einen endlosen Teufelskreis verwandelt, während die westliche Presse, berauscht von ihrer eigenen Propaganda, in Zeitungen und Nachrichtensendungen auf «den Autokraten Putin» eindrosch ohne jeglichen Versuch, den russischen Standpunkt zu verstehen.

Neben der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen und der Rückkehr der Botschafter auf ihre Posten, neben Konsultationen über Cybersicherheit und Abrüstung können wir auch erwarten, dass die Sanktionspolitik auf Eis gelegt – wenn auch nicht aufgehoben – wird. Letzteres allein wird Jahre dauern. Insgesamt ist das nicht unbedeutend, auch wenn die weiteren Gespräche schwierig sein werden.

Dies sind wichtige Punkte aber dennoch zweitrangig gegenüber dem, was bei diesem Treffen stets mitschwang, nämlich Chinas Aufstieg zur Weltmacht. In diesem Sinne kann man sagen, dass das gestrige Treffen die von Obama seit 2011 betriebene und von Trump in brutaler und chaotischer Weise fortgesetzte Umstellung abgeschlossen hat, nämlich die Konzentration der amerikanischen Interessen auf den asiatischen Raum statt auf Europa und den Nahen Osten. Durch die Einleitung des Truppenabzugs aus Afghanistan und durch diese Begegnung mit Putin hat Joe Biden diesen Entscheid für die amerikanischen Demokraten zementiert. Erinnern wir uns, dass die Demokraten im Gefolge von Hillary Clinton während der Kampagne von 2016 und dem darauf folgenden katastrophalen Russiagate sich eigentlich immer den Neokonservativen angeschlossen hatten, die Russland als Feind Nr. 1 der USA betrachten.

Die USA beginnen nun zu erkennen, dass sie sich gegenüber China nicht werden durchsetzen können, wenn sie

  • erstens nicht die Reihen ihrer G7- und NATO-Verbündeten schliessen können, wie es Biden gerade in den letzten Tagen am NATO-Gipfel versucht hat, und

  • zweitens zulassen, dass Russland seine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Peking in ein Militärbündnis ausweitet.

Eine solche wirtschaftliche und bevölkerungsmässige Macht im Herzen des grössten Kontinents der Welt würde die Amerikaner trotz aller militärischer Stärke sofort auf periphere Inseln zurückdrängen.

So gesehen hat Putin – wie immer – sehr wohl verstanden, was auf dem Spiel steht. Das gestrige Treffen ermöglichte ihm, Russland wieder auf die Weltbühne zu bringen, indem er es zur dritten Macht machte, d.h. zur dritten Weltmacht, die in der Lage ist, das Kräftegleichgewicht zwischen den beiden neuen Weltsupermächten zu beeinflussen. Für Russland, das von den westlichen Kommentatoren aufgrund der desaströsen 1990er Jahren zur unbedeutenden Regionalmacht zurückgestuft wurde, ist das eine beachtliche Leistung.

Peking, dessen Presseorgane seit Wochen wegen möglicher negativer Folgen dieses Treffens für seine Beziehungen zu Russland alarmiert war, hat sich nicht getäuscht. China, das 1972 die USA gegen die Sowjetunion ausgespielt hatte, kennt den Preis von Allianzen mit Hintergedanken [«alliances de revers»]. Und es weiss, dass Putin die Zaghaftigkeit der chinesischen Unterstützung nicht vergessen hat, als Russland 2014 wieder einmal vom Westen geächtet wurde. Peking wird seine Rücksichtnahme auf den grossen nördlichen Nachbarn verdoppeln müssen, was bestimmt nicht zum Missfallen Moskaus wäre.

Die Verlierer in diesem grossen Spiel sind die Europäer, die weiterhin das Drehbuch des Kalten Krieges aufrechterhalten und Lektionen in Sachen Menschenrechte erteilen, nachdem sie sich Ende vergangener Woche auf dem G-7- und dem NATO-Gipfel von den USA zu Befehlsempfängern machen liessen. Im Juli soll zwar ein Russland-Europa-Gipfel stattfinden, aber es ist zweifelhaft, ob dort die Karten neu gemischt werden, da die europäischen Politiker und Medien weiterhin auf Themen fokussiert sind, die ausserhalb Europas vollkommen nebensächlich sind, wie etwa die Nawalny-Affäre oder Weissrussland. Eigentlich wäre es an Europa gewesen, die Rolle der dritten Macht, des Schlichters und Beschwichtigers zwischen den USA und China, zu spielen. Mit dem gestrigen Treffen ist Europa weiter in den Rückstand geraten und wird grosse Mühe haben, dagegen anzukämpfen.

Die Umsetzung dieser neuen globalen Ausgangslage wird natürlich Zeit brauchen. Viel Zeit. Es wird Widerstände geben, Rückschläge, vor allem in Washington. Die Zwangsvorstellungen des Augenblicks, Vergiftungsversuche und andere Operationen zur Destabilisierung Russlands werden weiterhin die journalistischen und politischen Schlagzeilen dominieren. Aber seit gestern kann man davon ausgehen, dass diese nicht in der Lage sein werden, die Errichtung dieser neuen Weltordnung zu stören, da für die USA die Eindämmung Chinas sehr dringend geworden ist.

Der Schweizer Bundespräsident und Gastgeber Guy
Parmelin begrüsst Wladimir Putin und Joe Biden vor
der «Villa La Grange» in Genf. (Bild keystone)

Die Schweiz hat sich gut geschlagen

Wenn wir uns nun der Schweiz als Gastgeberland zuwenden – die die wichtigsten russischen Öl- und Gashandelsunternehmen und den Hauptsitz der Nord Stream-Pipelines beherbergt, die an neunter Stelle der ausländischen Investoren in Russland steht und auch zahlreiche russische Desks in den Genfer Privatbanken beherbergt –, wird auch dieser Gipfel eine gute Sache gewesen sein. Guy Parmelin, der bei seinem Treffen mit Wladimir Putin die Wirtschaftsbeziehungen ansprach, obwohl das russische Aussenministerium am Vorabend des Gipfeltreffens eine Stellungnahme zu diesem Thema veröffentlicht hatte, konnte so die Gelegenheit vor Ort geschickt nutzen. Seine Rolle als Bundespräsident hat er perfekt gespielt, das darf man betonen.

Bezüglich der amerikanischen Seite sind die Erfolge für die Schweiz weniger offensichtlich. Das Thema Steuern wurde beiseite gelassen, was auch nicht schlecht ist. Der Bundespräsident unterstrich das Interesse der Schweiz an einem Freihandelsabkommen mit den USA, was jedoch ein langfristiges Projekt ist. Joe Biden betonte seinerseits die Qualität der amerikanischen Kampfflugzeuge. Aber er könnte diesbezüglich bald enttäuscht werden, da die Schweiz nach dem Scheitern des Rahmenvertrags mit der EU sowohl aus politischen als auch aus militärischen Gründen gut beraten wäre, ein europäisches Flugzeug zu kaufen. Sie könnte in ihren Beziehungen zur EU nur gewinnen, ohne ihre Verteidigung zu schwächen, da sie damit die Zusammenarbeit mit ihren nächsten Nachbarn konsolidieren könnte.

Schliesslich hat dieser Gipfel – auch in einer Zeit der Schwäche des Multilateralismus – ermöglicht, die Rolle des internationalen Genfs zu festigen. Wenn unser Land diese Chance nutzt, um einen umfassenden (inklusiven) Multilateralismus zu entwickeln, der sich nicht auf westliche Zwangsideen beschränkt sondern für die gesamte aussereuropäische Welt offen ist, dann könnten wir den Champagnerkorken knallen lassen. (Verfasst am 17. Juni 2021)

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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