Volksabstimmung vom 13. Juni 2021

«Das primäre Ziel der Landwirtschaft ist, ausreichend und optimal Nahrung bereitzustellen»

Anne Challandes (Bild zvg)

von Anne Challandes*

(21. Mai 2021) Auch wir, die Schweizer Bauernfamilien, wollen keine Rückstände im Wasser. Zahlreiche Massnahmen sind bereits in Kraft und weitere sind geplant, um dies zu gewährleisten.

Die neuen Bestimmungen, die das Parlament in diesem Frühjahr verabschiedet hat, setzen ehrgeizige Ziele, die sie zur strengsten Regelung in Europa machen und eine angemessenere Antwort darstellen als die beiden Initiativen, die im Juni zur Abstimmung kommen.

Diese Regelung gilt ab 2023 und setzt einen Absenkpfad zur Reduzierung der von Pestiziden ausgehenden Risiken um 50 Prozent bis 2027 fest. Sie ist breiter angelegt, da sie auch einen Absenkpfad zur Reduzierung von Nährstoffen enthält. Zudem fördert sie Importe nicht.

Unsere Nahrung schützen

Die Schweizer Landwirtschaft befindet sich in einem Prozess der ständigen Verbesserung. In den letzten 10 Jahren ging der Verbrauch von synthetischen Substanzen in der konventionellen Landwirtschaft um 40 Prozent zurück. Die Hälfte der eingesetzten Pflanzenschutzmittel ist auch für den Biolandbau zugelassen, und immer mehr Nicht-Bio-Landwirte benutzen freiwillig diese Art von Produkten. Wer einen Gemüsegarten hat, weiss, wie schnell Krankheiten oder Schädlinge die Ernte zerstören können. Deshalb ist es in der konventionellen wie auch in der biologischen Landwirtschaft nicht immer möglich, auf eine Behandlung ganz zu verzichten. Pflanzenschutzmittel sind immer die letzte Möglichkeit, eine Kultur zu retten und damit unsere Nahrung vor der Vernichtung zu bewahren. Sie garantieren so die Sicherung der Lebensmittel, was auch für deren Lagerung und Transport wichtig ist.

Alle Pflanzenschutzmittel werden in einem Zulassungsverfahren von drei Bundesämtern geprüft: dem Bundesamt für Landwirtschaft, dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen und dem Bundesamt für Umwelt. Letzteres wird weitere Kompetenzen erhalten und dieses Verfahren ab 2022 beaufsichtigen. Landwirte handeln nach dem Motto: «So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig» – und nur als letztes Mittel, wenn die Eingriffsschwelle überschritten ist. Immer öfter entscheiden sie sich für alternative Methoden, sofern es sie gibt. Die Landwirtschaft ist entschlossen, mit den geplanten neuen Regelungen zur Verringerung der Risiken des Pestizideinsatzes diese Entwicklung fortzusetzen.

Für die sensiblen Kulturen Raps, Zuckerrüben und Kartoffeln
gibt es noch keine alternativen natürlichen Lösungen.
(Bild keystone)

Die Bevölkerung nachhaltig ernähren

Im ökologischen Landbau haben wir die optimale Lösung für alle Fragen noch nicht gefunden. Dies gilt insbesondere für die sensiblen Kulturen Raps, Zuckerrüben und Kartoffeln, für die es noch keine alternativen natürlichen Lösungen gibt.

In unserem Land schliesst das Gentechnik-Moratorium neue und schnellere Züchtungstechniken aus. Die einzige Möglichkeit für die Schweizer Forschung, neue krankheits- und schädlingsresistente Sorten zu finden, sind natürliche und traditionelle Züchtungsmethoden. Diese Entwicklungen brauchen weit länger als 10 Jahre, um brauchbare Ergebnisse zu liefern.

Die primäre Aufgabe der Landwirtschaft besteht darin, die Bevölkerung nachhaltig zu ernähren, was die Schweizer Bauernfamilien professionell, streng reglementiert und regelmässig kontrolliert tun. Die Schweiz ist dicht besiedelt und die Bevölkerung wächst. Gleichzeitig schrumpft die landwirtschaftliche Nutzfläche um fast einen Quadratmeter pro Sekunde. Es ist daher eine tägliche Herausforderung, trotzdem genügend Lebensmittel in naher Umgebung und guter Qualität zu produzieren. Derzeit schaffen wir dies jeden zweiten Tag. – Schweizer Produkte sind im Gegensatz zu importierten Lebensmitteln einwandfrei.

Das Trinkwasser wird streng überwacht und kontrolliert

In unserem Land wird das Trinkwasser streng überwacht und kontrolliert. Wenn sich Proben als belastet erweisen, ergreifen die zuständigen Behörden sofort Massnahmen.

Andere problematische Stoffe als Pestizidrückstände erhalten jedoch nicht die gleiche Aufmerksamkeit und sind dennoch in unserem Wasser in teils sogar viel höheren Anteilen vorhanden. Das EAWAG (Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs; früher: Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) und der Verband der Kantonschemiker der Schweiz erklären, dass das Schweizer Trinkwasser bedenkenlos konsumiert werden kann, zumal die Grenzwerte vorsorglich sehr niedrig angesetzt sind.

Wenn auch die ersten Analysen manchmal das Vorhandensein von Pestiziden anzeigen, sind die Rückstände aus anderen menschlichen Aktivitäten viel zahlreicher – sofern danach gesucht wird. So ergab eine Analyse des Rheinwassers durch das gleiche Institut, dass 99 Prozent der gefundenen Rückstände aus Industrie, Haushalt und von zahlreichen Medikamenten stammen. Zudem setzen wir Menschen uns täglich vielen Chemikalien aus, die weder reguliert noch kontrolliert werden im Gegensatz zu den in der Landwirtschaft verwendeten Stoffen.

Mehr Importe bedeuten eine grössere Umweltbelastung

Mehrere Studien haben gezeigt, dass bei einer Annahme der Pestizid- und der Trinkwasser-Initiative die Lebensmittelproduktion um 20 bis 40 Prozent sinken würde. 20 Prozent weniger Produktion bezogen auf die Schweizer Landwirtschaftsfläche von ca. 1 Million Hektaren würde die Produktemenge von 200’000 Hektaren Land bedeuten, die wir im Ausland holen, quasi «kolonialisieren» müssten, wenn sich der Konsum nicht ändere. Das bedeutet zum Beispiel mehr Rindfleisch aus Brasilien, mehr Poulet aus Osteuropa oder mehr Palmölimporte, um die Verluste beim Rapsanbau zu kompensieren. Diese Art der «Produktion» belegt – besonders in diesem Jahr – deutlich die Risiken eines Produktionszwangs ohne Pflanzenschutzmittel.

Zudem haben mehr Importe direkt eine grössere Umweltbelastung zur Folge, was im völligen Widerspruch zu den derzeit angestrebten Klimazielen steht.

Unsere Verantwortung als reiches Land – zwischen Umweltideologie und Realismus

All das wirft auch Fragen nach unserer Verantwortung als reiches Land auf, Fragen zwischen Umweltideologie und Realismus. Laut FAO1 umfasst das Konzept der Nachhaltigkeit viel mehr als nur den Erhalt der natürlichen Ressourcenbasis. Um nachhaltig zu sein, muss die Landwirtschaft die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen nach deren Produkten und Dienstleistungen erfüllen und dabei ein Gleichgewicht zwischen den drei Aspekten, die sie ausmachen, sicherstellen. Mit anderen Worten: Das primäre Ziel der Landwirtschaft besteht darin, ausreichend und optimal Nahrung bereitzustellen.

Bevor wir abstimmen, haben wir als Bürgerin und Bürger die Verantwortung, uns einige Fragen zu stellen. Wie werden wir die ständig wachsende Bevölkerung ernähren? Welche Garantie haben wir, dass wir im Falle einer globalen Nahrungsmittelkrise ausreichend «versorgt» werden? Aber die wesentliche Frage, die die Inkohärenz dieser beiden Initiativen offenbart, lautet vor allem: Wie können wir es rechtfertigen, dass ein reiches Land wie das unsere in andere Länder geht, um sich an den Nahrungsmitteln zu bedienen, die wir aus ideologischen Gründen nicht mehr im eigenen Land selbst und genügend produzieren wollen?

Zusammenfassend und unter Berücksichtigung aller Aspekte werde ich 2 x NEIN stimmen.

1 Construire une vision commune pour une alimentation et une agriculture durables, Principes et approches, FAO, Rome 2014, http://www.fao.org/sustainability/background/fr/ und http://www.fao.org/3/i3940f/i3940f.pdf

* Anne Challandes, 52-jährig, ist Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands. Die Rechtsanwältin und Mutter von vier Kindern führt zusammen mit ihrem Mann und ihrem ältesten Sohn in Fontainemelon (NE) einen Biobetrieb mit Mutterkühen. Sie bauen Weizen, Gerste, Raps, Mais, Quinoa, Kichererbsen und Linsen an.

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