Afrikas neue Rolle auf der multipolaren Weltbühne

Naledi Pandor. (Bild zvg)

Interview mit Südafrikas Aussenministerin Naledi Pandor*

(29. August 2023) Vor dem zweiten Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg führte «Russia Today» am 26. Juli 2023 ein exklusives Interview mit der südafrikanischen Aussenministerin Naledi Pandor über die Beziehungen zu Russland, den bevorstehenden BRICS-Gipfel, die Weltwirtschaft und andere Themen, die die Welt heute bewegen.

In den Medien der westlichen Welt fand der russisch-afrikanische Gipfel vom 27./28. Juli 2023 kaum Beachtung. Aufgrund dieser Abschottung bzw. dieses öffentlichen Desinteresses westlicher Medien ist auch kaum bekannt, welche Positionen die afrikanischen Staaten vertreten. Das vom «Schweizer Standpunkt» verschriftlichte und hier dokumentierte RT-Interview der südafrikanischen Aussenministerin mit dem RT-Moderator Rory Suchet bietet die Möglichkeit, mehr über das erwachende afrikanische Selbstbewusstsein zu erfahren.

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Rory Suchet: Ich habe das grosse Privileg und die Ehre, heute mit Dr. Naledi Pandor, der Aussenministerin Südafrikas, zu sprechen, hier in St. Petersburg, zum zweiten Russland-Afrika-Gipfel. Der letzte war 2019, er findet alle vier Jahre statt. Aber in den letzten vier Jahren, seit dem letzten Gipfel, hat sich so viel verändert, und wir befinden uns hier an der vordersten Front einer aufkeimenden multipolaren Welt.
Ministerin Pandor, ich freue mich sehr, dass Südafrika hier vertreten ist. Welche Erwartungen haben Sie an diesen Gipfel und was ist die Zielsetzung Südafrikas dabei?

Ein breites Spektrum an Partnerschaftsbereichen

Naledi Pandor: Nun, ich denke, die Stränge sind vielschichtig. Erstens geht es darum, die Beziehungen fortzusetzen, die über viele Jahre zwischen Afrika und Russland aufgebaut wurden. Es ist eine sehr wichtige Beziehung für uns. Insbesondere für Südafrika, wenn man bedenkt, welche Rolle das russische Volk in unserem eigenen Freiheitskampf gespielt hat. Es ist also eine Beziehung von Bruder und Schwester, von Genossen und Freunden. Das gilt es fortzusetzen.

Zweitens geht es darum, weiterhin starke Bande zu knüpfen, um die Entwicklungsziele des afrikanischen Kontinents voranzubringen und dafür zu sorgen, dass das Engagement, das Russland über viele Jahre hinweg gezeigt und zum Ausdruck gebracht hat, durch die Programme, die wir gemeinsam vereinbart haben, und deren tatsächliche Umsetzung in die Praxis stattfinden wird.

Der dritte Bereich ist natürlich der Austausch von Mensch zu Mensch. Wir haben ein grosses gemeinsames Interesse an den kreativen Künsten, an Geschichte, an einer Reihe von politischen Kernbereichen: Sicherheit, Handel. Wir haben also ein breites Spektrum an Partnerschaftsbereichen im Auge, das ist der eigentliche Grund für unsere Präsenz.

Der vierte und vielleicht wichtigste Punkt, und ich freue mich sehr, dass Präsident Putin dem zugestimmt hat, ist die Fortsetzung der Anfang des Jahres begonnenen Gespräche über die Rolle Afrikas bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des aktuellen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Ich gehe also davon aus, dass unsere Staats- und Regierungschefs ihre Anwesenheit hier in St. Petersburg nutzen werden, um diese Gespräche fortzusetzen, die in ihrem ersten Anlauf dazu dienten, Gespräche zwischen Afrika und Russland sowie zwischen Afrika und der Ukraine zu beginnen und jetzt hoffentlich die nächsten Schritte zu besprechen.

(Bild Screenshot aus dem Interview)
Ministerin, wie ist es gelaufen, als die afrikanische Delegation mit der afrikanischen Friedensinitiative nach Kiew reiste? Wie waren die Reaktionen? Was können Sie uns sagen?

Ich denke, die Kommunikationslinien sind offen, mit beiden Führern. Beide Führer sind starke Persönlichkeiten, und ich glaube nicht, dass nur die Ukraine hart war, sondern auch Präsident Putin. Was jedoch sehr positiv war, war der Empfang, den die afrikanischen Führer erhielten. Die beiden Führer waren offen für das, was letztere vortrugen, und, wie ich sagte, auf diesem speziellen Gipfel waren sie auch bereit, die Diskussion fortzusetzen.

Und das ist äusserst wichtig, denn wir sind die erste Gruppe von Staats- und Regierungschefs, die diesen Zugang sowohl zur ukrainischen als auch zur russischen Führung hat.

Es wurde eine so feindselige Atmosphäre geschaffen, dass sie nur mit dem einen und nicht mit dem anderen sprechen können. Ich denke also, dass Afrika in einer einzigartigen Position ist, um eine sehr wichtige Rolle zu spielen.

Was glauben Sie, können die afrikanischen Nationen und insbesondere Südafrika bei den Vereinten Nationen einbringen, wenn es darum geht, diese multipolare Welt ins Gleichgewicht zu bringen und Afrika einen angemessenen Platz auf der Bühne zu geben? Was kann Ihr Kontinent Ihrer Meinung nach in die UNO einbringen und vielleicht für eine Art Renovierung in New York vorschlagen?

Die UNO soll die Nummer 1 der multilateralen Institutionen bleiben

Wie Sie sicher wissen, hat Südafrika eine sehr schreckliche und qualvolle Zeit der Apartheid durchlebt. Wir wurden von einer Minderheit unterdrückt, die eine Mehrheit unterdrückte. Wir haben einen heldenhaften Kampf gegen die Macht geführt und haben daher Erfahrung im Umgang mit Ungerechtigkeit. Und ein grosser Teil der Welt hat den Apartheidstaat tatsächlich sehr lange unterstützt. Es gab nur sehr wenige Freunde, die uns bei diesem erbitterten Kampf zur Seite standen. Ich denke also, dass wir aufgrund unserer Erfahrung mit Unterdrückung sehr gut in der Lage sind, die Bedeutung von Freiheit zu verstehen, Demokratie in ihrer ganzen Bedeutung zu fördern und Repräsentativität zu unterstützen. Ein Teil der politischen Definition, die wir uns als Südafrikaner geben, ist Einheit und Vielfalt. Das bedeutet, dass wir Rassismus und alle Formen von Vorurteilen ablehnen.

Und ich denke, wir sollten dies auch auf die multilaterale Bühne bringen. Wenn wir von einer Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sprechen, geht es um eine stärkere Vertretung, um demokratische Prozesse. Der Sicherheitsrat hat die Welt enttäuscht, denn wir haben überall auf der Welt viele Konflikte. Das bedeutet, dass der Mechanismus überdacht werden muss, damit wir Frieden und Sicherheit gewährleisten können.

Wir sind der Meinung, dass die UNO nach wie vor die Nummer 1 der multilateralen Institutionen ist, und wir möchten keine weiteren Versuche unterstützen, ein globales multilaterales Gremium aufzubauen.

Was wir uns wünschen, ist eine Reform und Stärkung der UNO. Von Zeit zu Zeit wurden die Vereinten Nationen für politische Zwecke missbraucht. Die einen haben sie zu einer Waffe gegen andere gemacht. Das müssen wir beenden. Und ich denke, wir brauchen eine Vielfalt an Strukturen und Mechanismen, die demokratische Prozesse zulassen. So wurde beispielsweise der Generalversammlung im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland plötzlich eine Art Entscheidungsrolle zugewiesen. Aber normalerweise hat sie diese Rolle nicht. Ich hoffe also, dass solche Änderungen auch in Zukunft vorgenommen werden, damit die Generalversammlung eine wirkliche Bedeutung erhält und man nicht die Vorstellung hat, dass es 15 Länder sind, die das Schicksal der Welt bestimmen können.

Das ist es, was wir uns erhoffen. Es gibt in der Tat Anzeichen dafür, wie Sie sagten, dass die globalen Institutionen durcheinandergebracht wurden. Es könnte sein, dass wir eine globale Neugestaltung der multilateralen Institutionen und Prozesse erleben werden. Ich hoffe, dass es dazu kommen wird, und ich denke, die Afrikaner dürfen diesen Moment nicht verpassen, denn es ist wahrscheinlich eine einmalige Gelegenheit, und wenn wir sie verpassen, bin ich mir nicht sicher, ob sich die Gelegenheit so schnell wieder bieten wird.

Wurde Südafrika von bestimmten Geschäftspartnern unter Druck gesetzt, nicht an dem Gipfel teilzunehmen? Oder wurde eines Ihrer Nachbarländer unter Druck gesetzt, nicht an diesem Gipfel hier in St. Petersburg teilzunehmen?

Die eigene Macht verstehen und sie zum Wohle Afrikas einsetzen

Sie wissen sicher, dass Südafrika ein Land ist, das sich von niemandem unter Druck setzen lässt. Ich denke also, die Freunde haben im Laufe der Zeit dazugelernt, dass sie uns gegenüber sehr vorsichtig sein müssen. Aber nein, es gab keine derartige Annäherung. Und sollte es jemals dazu kommen, würde ich es natürlich sofort öffentlich machen!

Wenn wir also davon sprechen, ein Rückgrat zu entwickeln, dann denke ich, dass jeder von uns ein Rückgrat hat, und es muss das eigene Rückgrat sein, das stark ist.

Es ist an der Zeit, dass unser Kontinent erkennt, dass er die Möglichkeit hat, ein äusserst mächtiger Teil der Welt zu sein. Wir müssen viel mehr Herr über unsere Fähigkeiten und Ressourcen sein und sie im Interesse des afrikanischen Kontinents verwalten, ohne die Vorstellung zu haben, dass wir irgendjemandem etwas schulden, denn das ist das neokoloniale Ideal. Wir müssen anfangen, unsere eigene Macht zu verstehen und sie zum Wohle Afrikas einzusetzen.

Wenn Sie sagen, dass Afrika für seine Souveränität, für seine Infrastruktur, seine Bodenschätze usw. verantwortlich sein sollte. Wer ist denn jetzt dafür verantwortlich? Ist es nicht Afrika selbst?

Wenn man unterdrückt wird, muss man die Situation selber verändern

Es ist eine Reihe von Kräften. Ich denke, es gibt Unternehmen aus dem Privatsektor, es gibt Länder, die die Ressourcen Afrikas missbrauchen, das ist bekannt, es ist belegt, man kann mit Geheimdienstquellen sprechen. Afrika exportiert seine Bodenschätze im Rohzustand. Sie werden nicht auf dem Kontinent raffiniert. Wir haben die afrikanischen kontinentalen Freihandelsabkommen, die den innerafrikanischen Handel fördern sollen.

Aber was die Industrialisierung angeht, so sind nur sehr wenige afrikanische Länder auf einem Niveau, das eine nennenswerte Produktivität in der verarbeitenden Industrie ermöglicht. Das muss sich ändern. Ich denke, es ist allgemein bekannt, dass selbst diejenigen, die behaupten, unsere Freunde zu sein, in Wirklichkeit die Ressourcen des Kontinents ausgebeutet haben. Und Sie wissen, im Kolonialismus ging es um Bodenschätze, um Ausbeutung, aber niemand, kein Unterdrücker wird eine Situation der Unterdrückung verändern. Wenn man unterdrückt wird, muss man die Situation selber verändern.

Ich denke, wir müssen eine andere Beziehung zu unseren Ressourcen entwickeln, sie selbst verwalten, die Fähigkeit entwickeln, innovativ zu sein, Partnerschaften – wie z.B. eine Partnerschaft mit Europa, den USA oder Russland – für unsere eigenen Interessen zu nutzen und nicht für die Interessen anderer.

In der Zwischenzeit gibt es Länder wie China, die in Afrika in die Infrastruktur investieren, sei es in Strassen, Schulen, Kliniken, Krankenhäuser oder Strom. Soweit ich weiss, hat Russland auf dem gesamten afrikanischen Kontinent in die Kernenergie investiert, und ich glaube, in Ägypten befinden sich mehrere neue Kernkraftwerke in der baulichen Endphase.

Wenn China und Russland auf diese Weise in Afrika investieren, kann man dann sagen, dass unsere professionellen Partner in Europa oder den USA ebenfalls in dieselbe Art von humanitärem Aspekt investieren, wie es einige dieser anderen östlichen Partner vielleicht tun?

Ich habe mich in meinen früheren Äusserungen sehr deutlich und kategorisch geäussert. Eines der Merkmale unserer eigenen politischen Praxis ist, dass wir versuchen, nicht einseitig ausgerichtet zu sein. Wir sind also nicht an ein bestimmtes Land gebunden. Das ist sehr gefährlich. Wir hatten das während des so genannten Kalten Krieges. Und Afrika hat sehr darunter gelitten, dass es als dem Westen oder anderen Ländern zugeneigt angesehen wurde. Deshalb war ich äusserst vorsichtig und abwägend bei der Durchsetzung unserer Unabhängigkeit. Das ist sehr, sehr wichtig.

China ist ein sehr guter Freund für uns als Südafrika und für den afrikanischen Kontinent. Ich kann den Wandel in der Infrastruktur in mehreren Ländern des Kontinents sehen. Aber als Afrikanerin, die ehrlich ist und analysiert, weiss ich, dass wir noch nicht da sind, wo wir sein wollen. Ich denke, das Element des Wandels, das stattfinden muss, ist die eigene, vollständige Kontrolle unserer Ressourcen, die Sicherstellung der Wertschöpfung, die Sicherstellung, dass wir keine Rohstoffe exportieren und die Wertschöpfung zu sehr hohen Preisen zurückkaufen. Wir müssen sicherstellen, dass wir Mehrwert schaffen und als Waren verkaufen.

Wir müssen somit die afrikanischen Bedingungen ändern. Und ich habe keine Angst zu sagen, «wir ändern sie», wer auch immer der Freund ist. Und das ist sehr wichtig, denn mein Interesse gilt unserem Kontinent, unserem Volk. Und wer auch immer versucht, uns auszubeuten und unsere Fähigkeiten zu schmälern, wer auch immer das ist, ob er nun behauptet, ein Freund zu sein oder nicht, wir werden uns denen annehmen und handeln.

Was bedeuten die BRICS-Staaten heute für die Welt?

Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und vielleicht 40 weitere Länder, wollen sich der strategischen Partnerschaft der BRICS-Staaten anschliessen, dieser strategischen Allianz, die schneller wächst, als viele Menschen sich vorstellen können.

In den letzten Jahren waren die BRICS eine schöne Idee. Die Investitionen in die Infrastruktur, auch die neue Entwicklungsbank. Und dann wurde es ein paar Jahre lang etwas still, oder vielleicht lief mehr hinter den Kulissen.

Ministerin Pandor, jede Woche gibt es eine neue Entwicklung in der BRICS-Familie. Immer mehr Länder wollen beitreten. Das ist fast so etwas wie eine neue Frontlinie, eine Vorreiterrolle, denke ich.
Wie China sagte, als Xi Jin Ping vor ein paar Monaten in Moskau war, erleben wir gerade den grössten Wandel seit 100 Jahren. Und diese Veränderungen gehen von Russland und China aus, das sagte er.

Aber sehen Sie sich die BRICS-Staaten an, Frau Ministerin, oder diesen Zusammenschluss strategisch wichtiger Länder in der ganzen Welt. All diese Länder wollen beitreten. Saudi-Arabien will zum Beispiel beitreten. Energiereiche Nationen wollen beitreten, Nationen, die die Arbeitskräfte der Welt repräsentieren, wollen beitreten, Nationen, die die geostrategisch wichtigsten Häfen repräsentieren, wollen beitreten.

Frau Ministerin Pandor, was bedeuten die BRICS-Staaten heute für diese Welt, die so sehr auf die westliche Hegemonie ausgerichtet war? Und jetzt sehen wir, was dieses plötzliche Wachstum, diese Multipolarität bedeutet. Frau Ministerin, was ist mit den BRICS-Staaten los? Das spielt auch in Ihrem Land eine grosse Rolle.

Gewiss. Wir diskutieren über eine Erweiterung, was sehr aufregend ist. Aber ich denke, dass man den BRICS für die Neue Entwicklungsbank wirklich gratulieren muss. Es ist eine Bank, die funktioniert, wir hatten ein sehr positives Rating in Bezug auf das Weltfinanzrating, und wir haben einen bedeutenden Beitrag zu Infrastrukturinvestitionen und Unterstützung in der Post-Covid-Ära für alle BRICS-Mitgliedstaaten geleistet.

Und das Fantastische ist, dass wir von fünf auf drei zusätzliche Mitglieder angewachsen sind, so dass wir jetzt acht sind. Und ich gehe davon aus, dass mit dem Beitritt weiterer Mitglieder auch weitere der Bank beitreten werden. Aber natürlich liegt die Entscheidung über die Erweiterung nicht bei mir, sondern bei den Staats- und Regierungschefs, die im August darüber entscheiden werden. Wir haben unsere Arbeit als Aussenminister getan und eine Reihe klarer Leitprinzipien entwickelt, von denen wir glauben, dass sie unseren Staats- und Regierungschefs bei der Entscheidungsfindung helfen werden.

Gründe für die Anziehungskraft der BRICS auf zahlreiche Länder

Aber warum wollen die Menschen Teil der BRICS sein? Die BRICS-Staaten sind ein neues Forum mit fortschrittlichen Idealen, das sich auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung konzentrieren will. Wir sind nicht gegen jemanden, wir sind nicht für jemanden. Wir arbeiten für das Wohl der Welt.

Und ich denke, man braucht ein Gremium dieser Art. Jeder ist also an den BRICS-Staaten interessiert, weil er sieht, dass etwas anderes passiert. Wir versuchen nicht, die Ozeane, die Wälder, den Klimawandel als Waffe zu nutzen. Wir wollen gemeinsam an der Lösung wichtiger Entwicklungsfragen arbeiten. Und ich glaube, das ist der Reiz, den die BRICS-Staaten für so viele Länder haben. Ich verbringe einen grossen Teil meiner Zeit damit, Ländern zu antworten, die wissen wollen, wann es so weit ist.

Ich kann mir nur vorstellen, dass das Interesse von Tag zu Tag wächst. Wie ich schon sagte, gibt es jede Woche eine neue Entwicklung in der BRICS-Familie, es gibt so viele Dutzend Länder, die sich anschliessen wollen.

Ich muss Sie Folgendes fragen: Beruflich und persönlich finde ich das eine faszinierende Geschichte. Der BRICS-Gipfel findet im August statt, und es wird sehr viel über eine tatsächliche BRICS-Währung, eine rohstoffgestützte Währung oder eine goldgestützte Währung gesprochen.

Ich persönlich bin der Meinung, dass solche Dinge sehr viel Zeit brauchen. Wenn man sich die Europäische Union anschaut, wie viele Länder sich zum Beispiel auf den Euro einigen mussten, diese grossen Unterschiede zwischen den kleineren und grösseren Volkswirtschaften. Das ist kompliziert.

Aber einige Leute sprechen von den BRICS-Währungen, das sind fünf Währungen, der Renminbi, der Real, die Rupie und so weiter. Viele Leute hoffen auf eine Ankündigung dieser möglichen neuen Währung am Gipfel im August. Können Sie uns etwas dazu sagen, Frau Ministerin?

Wie sieht es mit den BRICS-Währungen aus?

Nun, ich habe gehört, dass der Präsident der Neuen Entwicklungsbank vor den Staats- und Regierungschefs zu diesem Thema sprechen wird, und wir hoffen, dass wir einen Eindruck davon bekommen, wie die Zukunft aussehen wird. Ich denke, wir brauchen mehr Fairness im Welthandel, und wir müssen sicherstellen, dass die Finanzsysteme und -institutionen nicht so stark politisiert werden, dass sie zu einem Handelshemmnis werden.

Eine grössere Vielfalt ist also äusserst wichtig. Denn sobald man sich an eine Währung oder ein System bindet, wird man zu einer Art Geisel, und das müssen wir beenden. Wir brauchen freien Handel, vernünftige Systeme, finanzielle Sicherheit, aber man darf nicht an ein System gebunden sein.

Der Zeitpunkt ist wahrscheinlich gekommen, um über Alternativen nachzudenken. Ich hoffe also, dass der BRICS-Gipfel uns eine Richtung vorgibt. Aber ich glaube, das ist etwas, das nicht in die Zuständigkeit der Aussenminister fällt. Deshalb verlassen wir uns auf den Präsidenten der Bank und schliesslich auf die Finanzminister der BRICS-Staaten, damit sie uns einen Eindruck vermitteln, was möglich ist. Aber wie ich schon sagte, angesichts der aktuellen Turbulenzen in der Welt ist jetzt der Zeitpunkt für Veränderungen, der Zeitpunkt, um neu nachzudenken.

Heute gibt es Turbulenzen in der Welt, Krisenherde und Konfliktzonen, aber warum ist gerade jetzt ein so guter Zeitpunkt für Veränderungen, Frau Ministerin?

Nun, ich denke, zum ersten Mal ist die Feindseligkeit zwischen Nationen und zwischen mächtigen Kräften in der Welt offen zutage getreten. Der Handelskrieg zwischen den Vereinigten Staaten und China, zwei sehr grosse Weltmächte, ist offen ausgebrochen.

Wir haben den Russland-Ukraine-Konflikt und die Rolle der Nato in diesem Konflikt. Plötzlich stehen sich also sehr mächtige Elemente gegenüber und müssen in diesem Kontext Antworten finden. Und die Antworten werden nicht die sein, die wir kennen, sondern sie bedürfen meiner bescheidenen Meinung nach einer Aktualisierung, einer Auffrischung.

Viele neue Entwicklungen in Sicht

Es gibt heute so viel Bewegung in der Welt, wenn wir über die BRICS-Länder, die «Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit», die ASEAN, den «globalen Süden» und natürlich den afrikanischen Kontinent sprechen. Einige Leute bezeichnen diese Gruppen als eine Koalition der Entdollarisierung. Sie wenden sich vom amerikanischen Dollar ab. Ich denke, dass er seit dem grossen patriotischen Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, die Reservewährung ist.

Aber die Länder wenden sich vom Dollar ab. Sie steigern den Handel in nationalen Währungen. Es ist fast so, als gäbe es jede Woche eine neue Entwicklung, Frau Ministerin, mit neuen Ländern, die gemeinsam eine Koalition zur Abschaffung des Dollars ins Leben rufen. Warum gerade jetzt?

Nun, ich denke, ein Teil davon ist das Gefühl, als Geisel gehalten zu werden, und der Wunsch, sich von diesem Gefühl zu befreien. Mir ist aufgefallen, dass Sie all diese Regionen erwähnt haben, aber nicht Afrika, und es ist sehr, sehr wichtig, dass Sie uns mit einbeziehen, denn wir sind ein unglaublich wichtiger Teil der Welt, und natürlich verfügen wir über diese wichtigen Bodenschätze, die für die weitere Entwicklung der Welt von so grosser Bedeutung sind. Man darf Afrika also nicht ausklammern, das ist ganz wichtig.

Dennoch bin ich der Meinung, dass man vorsichtig sein muss, wenn man zu viele Organisationen hat, denn dann legt man eher die Grundlage für Konflikte als für Zusammenarbeit. Ich denke, es wird ein Punkt kommen, an dem diese verschiedenen Organisationen miteinander über eine Konvergenz sprechen und darüber, wie diese erreicht werden kann. Und ich glaube, dass die BRICS ein sehr wichtiges Instrument für eine solche Konvergenz sein könnten.

Das ist genau das, was ich sagen wollte. Wenn ich zum Beispiel vom globalen Süden spreche, schliesse ich Afrika keineswegs aus.

Wenn ich von den BRICS-Staaten spreche, dann meine ich damit auch Afrika in grossem Umfang. Ich habe vor kurzem einen Bericht aus Moskau gelesen, in dem stand, dass jedes afrikanische Land eingeladen wurde, den BRICS-Staaten beizutreten. Ist Ihnen das bekannt?

Das stimmt so nicht. Wir laden nicht zum Beitritt ein. Im Moment haben wir eine Outreach-Komponente der BRICS-Aktivitäten. (Kontaktaufnahme/Einbeziehung) Es ist eine Outreach-Einladung an die Leiter regionaler Organisationen weltweit.

Normalerweise hat Südafrika den Vorsitz inne und lädt alle afrikanischen Staats- und Regierungschefs ein. Wir haben also sowohl die Staats- und Regierungschefs als auch die Leiter regionaler Gremien wie den Gulf Council (Golf-Kooperationsrat), die ASEAN (Vereinigung Südostasiatischer Länder) und so weiter eingeladen. Dies ist also ein normaler Prozess, dem wir alle folgen, wenn wir den Vorsitz des BRICS-Forums innehaben.

Der Russland-Afrika Gipfel ist eine der seltenen Gelegenheiten, die Menschen an einen Tisch zu bringen, alle unter einen Baldachin zu bekommen, um über gemeinsame Ziele zu sprechen. Können Sie mir einen kleinen Vorgeschmack geben?

Haben Sie irgendwelche Überraschungen oder Geheimnisse in der Hinterhand, die Sie auf diesem Gipfel enthüllen wollen? Irgendwelche wichtigen Anliegen, neue Pläne, neue Initiativen. Vielleicht geben Sie mir einen kleinen Geheimtipp.

Aussenminister haben immer Geheimnisse in der Hinterhand (lacht). Nein, ich denke, die Welt befindet sich in einer beunruhigenden Situation. Ich möchte die Bedrohung nicht herunterspielen, mit der wir als globale Gemeinschaft konfrontiert sind, wenn es uns nicht gelingt, die aktuellen Herausforderungen zu lösen.

«Als Kontinent machen wir uns Sorgen um die Ernährungssicherheit»

Sie wissen, dass wir uns als Kontinent zum Beispiel Sorgen um die Ernährungssicherheit machen. Die Getreideinitiative ist also sehr wichtig, und wir würden uns wünschen, dass sie in einer Weise gelöst wird, die sowohl den Bedenken Russlands als auch den Bedenken des afrikanischen Kontinents Rechnung trägt.

Dies sind also Fragen, über die wir gerne intensiver nachdenken würden. Wissen Sie, ich spreche mit meinen Kollegen oft über Getreideexporte und über die Auswirkungen unilateraler Sanktionen, das heisst Sanktionen, die nicht über das System der Vereinten Nationen verhängt werden, sondern die von einzelnen Ländern gegen andere Länder verhängt werden. Und wenn ich Freunden erzähle, dass diese unilateralen Sanktionen immer schreckliche Auswirkungen haben, insbesondere für die Entwicklungsländer, sagen sie zu mir: «Aber wir haben keine Sanktionen gegen Lebensmittel, wir haben keine Sanktionen gegen dies und das», und ich sage: «Aber wir spüren die Auswirkungen».

Ich denke, wir müssen alle Fragen im Zusammenhang mit der Ernährungssicherheit lösen, und das wäre, meiner Meinung nach, Teil der wichtigeren Nebengespräche, die hier stattfinden werden.

Ich glaube auch, dass Fragen des Handels eine grosse Rolle spielen werden. Und zunehmend werden Fragen der digitalen Wirtschaft und der digitalen Sicherheit zu globalen Angelegenheiten, über die wir uns einigen müssen, denn um Cyberangriffe zu stoppen und die Cybersicherheit zu gewährleisten, müssen wir zusammenarbeiten und Ressourcen gemeinsam nutzen. Das wird Gegenstand von wichtigen Diskussionen sein.

Wie ich sehe, treffen sich unsere Sicherheitsberater, und wir sind gespannt, was dabei herauskommt, auch was die Überlegungen angeht. Wir haben alle ziemlich grosse Wirtschafts-Delegationen, so dass ich hoffe, dass einige Verträge unterzeichnet werden können.

Wenn Sie über den Schwarzmeerkorridor und die Getreideinitiative sprechen: Ich habe in Moskau gehört, dass die Getreideinitiative nur vorübergehend ausgesetzt wurde. Sie wurde nicht geschlossen, und der Kreml hat gesagt, er sei offen für weitere Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Getreidepassage im Schwarzmeerkorridor.

Nun, Lady Pandor, Aussenministerin von Südafrika, ich könnte den ganzen Tag mit Ihnen sprechen. Es war so aufschlussreich, wirklich faszinierend. Wir sind sehr stolz darauf, dass Sie zu diesem Gipfel nach St. Petersburg gekommen sind. Vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit genommen haben.

Vielen Dank. Ich bin froh, hier zu sein. Ich danke Ihnen für diese Gelegenheit.

* Grace Naledi Mandisa Pandor, geboren 1953 in Durban, erwarb 1977 einen BA-Abschluss in Geschichte und Englisch an der Universität von Botswana und einen MA-Abschluss an der Universität von London. Zurück in Südafrika erwarb sie 1997 einen MA in Linguistik an der Universität Stellenbosch.
Bevor sie 2004 Bildungsministerin wurde, war Naledi Pandor auf verschiedene Weise in Bildungsfragen engagiert. Sie unterrichtete Englisch sowohl in Botswana als auch in London und lehrte anschliessend an der Universität von Botswana, bevor sie 1989 als Dozentin an die Universität von Kapstadt kam. Nach den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika im Jahr 1994 wurde Frau Pandor ins Parlament gewählt. 1998 wurde sie stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Rates der Provinzen (NCOP) und 1999 zur Vorsitzenden gewählt. Seit 2019 ist sie Ministerin für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit. Zuvor war sie ein Jahr lang südafrikanische Ministerin für Hochschulbildung, nachdem sie dieses Amt bereits von 2009 bis 2012 innehatte. Von 2012 bis 2014 war sie Innenministerin.

Quelle: «South African FM speaks to RT ahead of Russia-Africa summit», https://www.rt.com/shows/rt-interview/580348-naledi-pandor-russia-africa-summit/, 26. Juli 2023

(Verschriftlichung und Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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